INTERVIEW MIT OLIVER SIEBER ZU SEINER SERIE „BOY MEETS GIRL“


Von Tim Stüttgen
Der Düsseldorfer Fotograf hat gerade sein neues Fotoprojekt beendet, das sich mit alternativen Genderidentitäten aus Deutschland beschäftigt. Dafür hat er auch einige Kings und Transmänner getroffen, die man aus der Dragking-Szene kennt. DIE KRONE & ICH hat mit ihm über seine Arbeit gesprochen.
Oliver, du hast dich in Deine Arbeiten schon immer mit alternativen Identitäten und Subkulturen beschäftigt. Was hat dich persönlich zu den Transmännern und – frauen, Dragkings – und Queens gebracht?

Schon zu Studienzeiten habe ich mich mit stark individualisierten Schönheitsidealen beschäftigt. Damals habe ich Portraits von Leuten gemacht, die ich einfach interessant fand. Das waren alles Leute, die ich vom Ausgehen kannte. Keiner von ihnen entsprach gängigen Idealen. Eine Bekannte hatte zum Beispiel gerade ihre geschlechtsangleichende OP hinter sich. Sie habe ich fotografiert. Ich empfand diese Entscheidung wie einen Neuanfang für sie. Mich hat der Punkt interessiert, wo man sich im Zuge der Umwandlung für einen bestimmten Typen entscheidet und dann neu loslegt. Dann habe ich einen damaligen Travestiestar für lange Zeit begleitet – und ihn über einen Zeitraum von bestimmt zehn Jahren fotografiert. Damals war sie Dauergast in meinem Atelier in immer neuen Kostümen und Oberflächen und konnte nicht genug vom fotografiert werden bekommen. Dieser Prozess war immer wieder spannend. Irgendwann habe ich sie dann als Marylin Monroe für eine große Modefirma fotografiert und keiner wusste, dass sie eigentlich in Drag war. Jetzt ist sie operiert und lebt ganz „normal“ als Frau. Die Fotokunst hat ja eine lange Geschichte von Auseinandersetzungen mit Gender und Sexualität. Von
Marcel Duchamp bis Nan Goldin, von Del La Grace Volcano bis Catherine Opie.


Was war für dich einflussreich oder wichtig?

Nan Goldin und Del la Grace Volcano sind direkt „Betroffene“. Sie arbeiten aus ihrer Biographie heraus. Goldin ist extrem biographisch und vermittelt uns über ihre Bilder einen Eindruck, den wir ohne das Veröffentlichen niemals hätten. Hier ist der Aspekt des Veröffentlichens sehr wichtig. Bei Del la Grace ist
es ähnlich. Nur hat er es meiner Meinung nach noch nicht richtig aus der Szene heraus geschafft. Damit möchte ich sagen, dass es schön wäre, wenn seine Bücher ebenso selbstverständlich kaufbar wären wie die von Nan Goldin.
Ich würde hier auch gerne noch David Bowie hinzufügen, der mit seinen Platten in den 70er-Jahren das Thema der Rollen von Mann und Frau über Popmusik in die Öffentlichkeit gebracht hat. Es gibt eine Menge mehr natürlich. Doch auch die Arbeiten des schwulen Fotografen Robert Mapplethorpe würde ich zu meinen Einflüssen zählen, genau so wie Joel Peter Witkin, den Surrealisten Hans Bellmer und Claude Cahun als Crossdresser. Auch die Fotografin Bettina Rheims hat interessante Arbeiten gemacht.


Und wie bist du dann zu Deinem „Boy Meets Girl“-Projekt gekommen? Dort findet man ja viel mehr Kings und Transmänner als Queens und Transfrauen – was ich gut finde, weil in den letzten Jahren ja immer Dragqueens die meiste Aufmerksamkeit bekommen haben.

Dragqueens und Travestie-Künstler kannte ich viele. Allerdings war mir das Bild, das sie als Ideal von Frauen zeichneten, oft zu oberflächlich. Das war jedenfalls bei den meisten so, die dich ich kennen gelernt habe. Deshalb kam das für mich als Reihe alleine nie in Frage. Erst als ich auf einer Ausnahmeparty der Drag Kings aus Köln gelandet bin, habe ich die Idee zu dieser Portrait-Serie bekommen. Dort befand ich mich zwischen einer Vielzahl von Menschen, die die Rolle Mann und Frau neu interpretierten und lebten. Das war sehr bereichernd. Dann habe ich Ines-Paul von meiner Arbeit erzählt. Er war dann auch einer der ersten, den ich fotografiert habe. So ging es los. Der Prozess dauerte viele Monate. Zum Ergebnis möchte ich sagen: Die Mischung macht es. Ich arbeite ja auch nicht wissenschaftlich. Ich finde, ich habe einen guten Durchschnitt gefunden. Wenn dem jemand nicht zustimmt, möchte ich erwidern, daß dies mein Umfeld und die Leute reflektiert, die mir Zugang gewährt haben. Diese Einladung habe ich sehr gerne angenommen.

Wieso hast du dir gerade dieses Thema ausgesucht, was einerseits schon fast als Hype durch den Mainstream geistert, andererseits aber noch so viele unentdeckte Facetten besitzt?

Ich finde, das Wort Hype klingt in dem Zusammenhang etwas negativ. Wenn sich
zurzeit viele mit dem Thema beschäftigen, ist es doch ein Fortschritt. In meiner persönlichen Praxis steht dieses Thema im Zusammenhang aller vorangegangenen und noch kommenden Arbeiten. Im Grunde geht es in allen meinen Arbeiten über das Herausbilden von Identität. Mich interessiert es, ein gesellschaftliches Bild zu beschreiben was „mir“ in meiner täglichen Wahrnehmung so nicht begegnet. Ich richte meinen Blick auf Menschen, deren Öffentlichkeit und Präsenz ich als wichtig empfinde.


Mich hast du ja auch für dein Projekt fotografiert. Ich fand ganz gut, dass du von Anfang an versucht hast, dich zu erklären, transparent zu machen und den persönlichen Kontakt zu suchen. Kannst du den LeserInnen erklären, wie diese Praxis für dich funktioniert hat und was dir persönlich im Kontakt zu den Personen wichtig war?

Wenn ich eine Portraitreihe beginne, suche ich meist nach einer Art Schlüssel-Figur und hoffe in einer Art „Kettenreaktion“ weitergereicht zu werden. So entstehen automatische Findungsmethoden und gehen meist interessante Wege. Ich habe keinen Masterplan und sage nicht: Ich brauche diesen oder diejenige oder den Typ… Lieber lasse ich mich treiben und beende meine Serie zumindest vorerst, wenn ich meine, eine möglicht große Vielfalt von unterschiedlichen Menschen getroffen zu haben.

Wie war die Zusammenarbeit? Wie schwer fiel dir, als heterosexueller Biomann die Verständigung mit den Subjekten, die du fotografiert hast? Wie sehr war Vertrauen da – oder auch nicht? Was für Erfahrungen habt Ihr miteinander gemacht?

Wenn einmal jemand zugesagt hat, war grundsätzlich die meiste Arbeit schon getan. Bis dorthin war es oft nicht ganz einfach. Ein wie ich fand verstörendes Erlebnis war auf dem vorletzten CSD am Stand von einem lesbischen Magazin Ich fand einige Hefte sehr interessant und hätte gerne mehrere Ausgaben gehabt. Ich durfte dann nur eines haben mit dem Spruch, ich sei doch wohl nicht die Zielgruppe…?

Transgenders und andere alternative Gender-Identitäten darzustellen, ist ja immer eine schwierige Sache, die auch viel Verantwortung bedeutet. Du als Fotograf hast gewissermaßen die Macht und Kontrolle über die Darstellung. Wie gehst du mit Skepsis und auch Kritik an den Resultaten um? JedeR der Dargestellten hat sicher ihre/ seine eigenen Erfahrungen darüber, wie es ist, visuell ausgebeutet oder schräg angeschaut zu werden…

Ich würde sagen, dass ich die Leute ohne einen gewissen Vertrauensvorsprung hätte nie fotografieren können – und auch nicht wollen. Schließlich habe ich keine Straßenfotografie betrieben, sondern habe mich erklärt und einen Termin gemacht. Das Bild ist letztendlich eines geworden, was im Prinzip jeder andere in der Straßenbahn oder in anderen ruhigen Momenten ebenfalls hätte haben können. Nur eben nicht als Foto. Was ich dann noch mache, ist sortieren. Die Entscheidung der Auswahl ist allein meine, dort nehme ich natürlich
Einfluss auf das Ergebnis.


Du hast mal erzählt, dass viele der Fotografierten dir auch von ihren Erfahrungen ihrer Identitäts-Prozesse erzählt haben. Was hat dich dabei bewegt und überrascht, was hast du vielleicht sogar gelernt?

Das ist sehr interessant gewesen , einige wo man denken würde, dass sie ihre
äußere Form noch nicht so überzeugend gefunden haben wie die gesellschaftlichen Rollen es fordern, waren die glücklichsten Menschen. Ich würde meinen, dass sie ohne diese innere Überzeugung auch nicht bereit gewesen wären für meine Arbeit.


Die dargestellten Personen sitzen alle vor weißem Hintergrund. Auch sonst ist keinerlei Kommentar oder Kontext aus den Bildern lesbar. Wie wichtig ist dir ein womöglich neutraler Blick auf die Leute, die du fotografierst? Andere FotografInnen stellen ihre Subjekte ja effektreicher oder gar ausstellender dar. Wie würdest du deinen Ansatz beschreiben?

Du hast es eigentlich schon gesagt: Ich mag diesen standardisierten fotografischen Blick. Er lässt zu, sich voll auf die abgebildete Person einzulassen – wenn man möchte. Er konfrontiert allerdings auch die Fotografierten mit sich selbst. Ist das Bild erst mal gemacht, ist es schwer wieder loszuwerden. Interessant ist die Frage: Bildet Fotografie nur die Oberfläche ab oder kann sie mehr? Diese Frage lasse ich gerne im Raum stehen.

Wie entscheidest du, wann ein Projekt fertig ist? Es gibt ja immer noch mehr Personen, die fotografiert werden könnten…

Eigentlich würde ich manchmal aufgrund einer Basis die ich geschaffen habe, gerne weiter arbeiten. Immer, wenn Leute auch auf mich zukommen, freue ich mich. Weitersuchen werde ich zurzeit allerdings nicht. Es gibt ja noch so viele Themen, die mich auch interessieren. Gerade arbeite ich im Rahmen eines Stipendiums, für das ich im nächsten Jahr mehrere Monate in
Japan sein, werde über den Einfluss von Manga und Anime-Figuren auf Jugendliche in Deutschland und Japan. Hier steht für mich der Aspekt des Maskierens im Vordergrund, zumindest im Moment.


In welchem Kontext soll BOY MEETS GIRL präsentiert werden? Was für eine Form der Präsentation stellst du dir vor?

Ich denke in Bildern an der Wand und auch in Büchern. Das entscheidet sich konkret, wenn eine Ausstellung ansteht. Erst dann kann ich auf die genauen räumlichen Bedingungen eingehen. Aufgrund der stark individualisierten Menschen denke ich weniger an eine Gruppenserie, sondern an etwas größere Formate in einer Reihe und auch nicht ganz so dicht. Die BetrachterInnen
sollen Raum haben, sich auf jedes einzelne Bild einzulassen. Wie es aber genau
werden wird, muss man dann erstmal sehen.